Glashütte Waldsassen, Weltmarktführer für mundgeblasene Flachgläser
Die Glasmacher in der Glashütte Lamberts aus Waldsassen zählen weltweit zu den Besten in ihrer Zunft. Die Werkzeuge, mit denen sie aus mundgeblasenem Zylinderglas Flachglas fertigen, sind seit Jahrhunderten dieselben. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Glashütte Lamberts, Hans Reiner Meindl, und sein Prokurist, Robert Christ, haben sich darum zum Ziel gesetzt, die traditionelle Flachglas-Herstellung als „immaterielles Weltkulturerbe“ für Deutschland festschreiben zu lassen. Das wäre die vorläufige Spitze der öffentlichen Anerkennungen nach zahlreichen Auszeichnungen wie dem Bayerischen Staatspreis und der Goldmedaille denkmal – für herausragende Leistungen in der Denkmalpflege in Europa.
Bayern Handwerk International hat mit Hans Reiner Meindl und Robert Christ gesprochen.
BHI: Warum berühren uns Glasbilder auf eine besondere Art?
Meindl: Der Mensch kann sich dem Zauber des farbigen Glases nicht entziehen. Es ist das Funkeln und das Spiel mit der Sonne, wenn sich die Farben der Glasfenster am Boden spiegeln. Kein anderes Material kann Licht so sammeln und transformieren, wie die farbige mundgeblasene Glasscheibe. Jan Thorn Prikker, der niederländische Glaskünstler, hat einmal gesagt: ‚Mit farbigem Glas zu arbeiten, ist, wie mit der Sonne selbst zu malen.’
BHI: Die Glashütte ist eine von drei Glashütten weltweit, die mundgeblasenes Flachglas herstellen.
Meindl: Das ist richtig. Und wir sind die größte Glashütte und stellen das schönste Glas her. Nun halten Sie mich vielleicht für unbescheiden, darum zur Erklärung: Wir haben einen polnischen Mitbewerber, der stellt um die 70 verschiedenen Farben her. Der zweite Wettbewerber ist ein französisches Unternehmen. Dort macht man etwa 250 Farben. Und dann gibt es die Glashütte Lamberts, die macht nach eigener Einschätzung 5.000 verschiedene Farben und Töne. Wir meinen auch, dass wir in der Summe mehr Glas produzieren. Darum sagen wir: Wir sind der Weltmarktführer für mundgeblasene Gläser.“
BHI: Wie geht es einem Betrieb, der an der Weltspitze nahezu ohne Konkurrenz ist?
Meindl: So ganz ohne Konkurrenz sind wir ja auch nicht. Unsere Konkurrenten sind diejenigen, die Gläser bedrucken und besprühen. Die Farben sind dann natürlich nicht so schön und die Wirkung ist eine ganz andere. Wenn durch ein mundgeblasenes blaues Glas Licht durchfällt, dann haben Sie selbst in 30 Metern Entfernung noch die blaue Reflexion am Fußboden. Wenn Sie das Glas blau lackieren oder bedrucken, dann ist die Reflexion nicht blau, sondern grau. Die Bedrucker und Lackierer bieten sehr billige Lösungen an. Nicht schön, aber billig.
BHI: Und wie verteidigt man die Qualität gegen Angriffe von „Billig“?
Meindl: Durch die Brillanz des Glases, die weltweit anerkannte Qualität und die Art der Herstellung. Ist ja alles von Menschenhand gemacht und jedes Glas hat einen eigenen Charakter. Wenn man mit der Hand darüber streicht, spürt man die leichten Unebenheiten an der Oberfläche, und wenn man durchschaut, erlebt man eine vierte Dimension. Das nennen wir „Körperhaftigkeit“. Zum Vergleich: Durch ein Industrieglas schaut man hindurch, wie wenns gar nicht da wär.
BHI: Wie gehe ich vor, wenn ich bei Ihnen ein bestimmtes Glas erwerben will?
Meindl: Die 0815-Produkte bestellen Sie in unserem Standardkatalog. Darin finden Sie ungefähr 250 Farben, Töne und Strukturen. Das ist aber ein relativ geringer Teil unseres Geschäfts. Der größere Teil sind Einzelanfertigungen. Vielleicht brauchen Sie eine Farbe, die zwischen der Farbnummer 21 und 22 liegt. So sind 5.000 Farben und Töne entstanden und jeden Tag werden es mehr, weil den Kunden immer wieder was Neues einfällt. Die Farben entstehen im Normalfall durch die Zugabe von Metalloxyden. Mit Gold macht man Rosa, mit Kobalt macht man Blau, mit Eisen oder Chrom macht man Grün. Ein geringer Teil unserer Gläser ist durchgefärbt, und die meisten Gläser sind sogenannte „Überfanggläser“. Hier werden farbige Glasschichten auf weiße oder farbige Trägergläser gelegt.
BHI: Ihre Gläser findet man vermutlich häufig in Kirchen.
Meindl: Das ist richtig. Im sakralen Bereich wird bis heute farbiges Glas eingesetzt. Die Prophetenfenster“ aus dem 11./12.Jahrhundert im Augsburger Dom waren die ersten bedeutenden Glasfenster, bei denen mundgeblasenes Zylinderglas zum Einsatz kam. Die Leute konnten nicht lesen und mit den Fensterbildern wurden die Geschichten der breiten Bevölkerung zugänglich gemacht.
Christ: Ein modernes Beispiel mit Lamberts-Glas ist im neuen Stadtteil Firmian/Bozen zu sehen. Der Südtiroler Glaskünstler Christoph Hofer hat dort in der neu gebauten Kirche Mutter Teresa von Kalkutta ein Glaskunstwerk aus einem blauen Überfangglas geschaffen. Und auch das Glas für das Fensterbild der Kirche in Cisterna di Latina kommt aus Waldsassen. Es ist ein Werk aus dem italienischen Kunststudio Progetto Arte Poli.
BHI: Künstler gehören also zu Ihrem Kundenstamm. Wer noch?
Meindl: In der Regel sind es Handwerksbetriebe, Ateliers und Glasmalereien, die für den Künstler das Glas bearbeiten, schneiden, ätzen, bemalen, sandstrahlen oder gravieren. Und dann sind da natürlich noch die Fensterrestauratoren und die Händler.
BHI: Was geht in Ihrer Werkstatt ganz genau vor sich?
Meindl: Glas entsteht, indem man Sand, Kalk und Soda über 12 Stunden bei bis zu 1.450 Grad schmilzt. Anschließend braucht das Glas eine Läuterungsphase zur Klärung. Das Glas hat sich danach auf 1.100 Grad abgekühlt und kann weiterverarbeitet werden. So hat man das schon vor 3.000 Jahren gemacht.
Christ: Dann beginnt die wichtigste und schwierigste Bearbeitungsstufe. Dazu arbeiten an jedem Ofen Teams, die sich jeweils aus dem Anfänger, dem Einträger und dem Glasmachermeister zusammensetzen. Der Anfänger bringt durch Drehen der Glasmacherpfeife im Schmelzbottich das flüssige Glas an die Pfeife. Er wiederholt den Vorgang so oft, bis er die nötige Glasmenge hat. Durch Drehen und Einblasen in Holzmodel gibt der Anfänger dem Glas die richtige Form. Dann übergibt er das Ganze dem Glasmachermeister, der die Glaskugel bis zur endgültigen Größe aufbläst.
Meindl: Diese Kugel formt der Glasmachermeister in einer Halbschale zum langen Ballon. Ein Helfer öffnet den Ballon erst auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite, so hat man einen Zylinder. Der wird abgekühlt, der Länge nach aufgeschnitten und wieder auf rund 800 Grad erwärmt, aufgefaltet und zur Glastafel ausgebügelt.
BHI: Ist alles was Ihre Glashütte verlässt mundgeblasen?
Meindl: Das Meiste ist mundgeblasen, auch die Sonderanfertigungen als Isolierglas oder Schall- und Wärmeschutzglas. Wir haben dazu ein Produkt entwickelt, das sich perfekt für den Denkmalschutz eignet. Dann gibt es noch zwei Typen von Glas, die bei uns gegossen werden.
BHI: Man arbeitet bei Ihnen mit Temperaturen von 1.000 Grad. Klingt nach harter Arbeit. Haben Sie Nachwuchsprobleme?
Meindl: Die haben wir eigentlich nicht. Wer zu uns kommt, muss eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und erst hier einmal für ein paar Monate zur Probe arbeiten. Das ist eine notwendige Fürsorge für unsere Mitarbeiter. Natürlich muss der Glasmacher auch eine Begabung für die Handwerkstechnik mitbringen und kräftig sein. Die Glasmacherpfeife ist rund zwei Meter lang und wiegt zusammen mit dem Glas etwa 16 Kilogramm. Dazu kommt, dass der Mitarbeiter Hitze aushalten muss. 40 Zentimeter von ihm entfernt ist die glühende Glasmasse mit einer Temperatur von 1.000 Grad. Übrigens: Glasmacher sind g’standne Mannsbilder, und wir legen Wert darauf, dass sie nicht mit dem Glasbläser verwechselt werden.
BHI: Der Frauenanteil am Ofen?
Meindl: Wir haben eine Frau als Aufschneiderin, sie ist auch eine der Qualitätskontrollen. Am Ofen arbeiten bei uns gar keine Frauen, schlicht und einfach deshalb, weil sich noch nie eine beworben hat.
BHI: Wie prägt diese Arbeit den Menschen?
Meindl: Die Prägung beginnt mit der Arbeitszeit: Um drei Uhr morgens steht der Glasmacher auf, fünfmal die Woche, um vier Uhr beginnt er zu arbeiten. Das muss der Partner mitmachen.
Christ: Man muss teamfähig sein, denn die Arbeit geht Hand in Hand. Die Abläufe sind fast wie eine Choreografie. Außerdem macht es auch stolz, wenn man weiß: Die Kapelle am Ground Zero ist mit unserem Glas verglast worden, oder der Kölner Dom.
Meindl: Noch was prägt: Wäre einer unserer Mitarbeiter KFZ-Meister, wäre er einer unter vier Millionen KFZ-Meistern auf der Welt. Wer als Glasmachermeister in der Glashütte Waldsassen arbeitet, ist zusammen mit seinem Team der Weltmeister. Das sagen wir unseren Mitarbeitern immer wieder. Sie finden auf der ganzen Welt keine Besseren.
Das Interview führte Maria Weininger, Bayern Handwerk International