Handwerk goes international
Wer während oder nach der Ausbildung in die Ferne schweift, hat dafür vielseitige Möglichkeiten. Zwei Erfahrungsberichte mit Perspektivwechsel.
Für Benjamin Fink steht schon während seiner Schreinerausbildung fest: Ihn zieht es ins Ausland. Genauer gesagt in die USA. Im Nachhinein ist er froh, dass er seine Ausbildung trotz des Fernwehs abgeschlossen hat. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche stößt er auf der Suche nach Organisationen und Stipendien für Auslandsaufenthalte schließlich auf das Parlamentarische Patenschafts-Programm (PPP). Eines der wenigen Stipendien, bei dem man vergleichsweise wenig Geld in die Hand nehmen muss. Er bewirbt sich, führt Gespräche. Und sitzt einige Zeit später im Flugzeug nach Washington D.C.
Mit dem PPP ins Ausland
Das PPP gibt seit über 40 Jahren Schülerinnen und Schülern sowie jungen Berufstätigen die Chance, mit einem Stipendium ein Jahr die USA zu erleben. In Benjamins Fall läuft das Programm über die Organisation Cultural Vistas. Für die Stipendien arbeitet der Deutsche Bundestag mit dem Congress in den USA zusammen. Die Idee: Der Bundestag sponsort amerikanischen Stipendiatinnen und Stipendiaten ihren Aufenthalt in Deutschland – umgekehrt sponsort der Congress deutschen Teilnehmenden ihre Zeit in den USA. Die Bewerbung und das Auswahlverfahren läuft laut Benjamin zugewandt und freundlich ab: „Die eigene Persönlichkeit zählt. Es wird weniger auf Noten geachtet, sondern eher darauf, ob man charakterlich für das Programm geeignet ist.“ So ist Benjamin einer der Glücklichen, die sich über einen Platz freuen können. Nach der Ankunft in Washington D.C. verteilen sich er und die anderen 74 Stipendiatinnen und Stipendiaten in die Regionen, die ihnen zugeteilt wurden. In Benjamins Fall: Twin Falls, Idaho. Hier wohnt er in einem Studentenwohnheim, knüpft neue Bekanntschaften und besucht das lokale Community College, wo er unter anderem einen Kurs für Schreiner belegt: Woodworking.
Schreinern in den USA
Nach einem Semester am Community College wird es Zeit für die nächste Aufgabe: Das PPP sieht vor, dass die Teilnehmenden sechs Monate lang bei einem Arbeitgeber ihrer Wahl arbeiten. „Das hätte auch Starbucks oder alles Mögliche sein können“, berichtet Benjamin. „Aber ich wollte schon in einen Schreinerbetrieb. Ich bekam den Tipp für meinen Arbeitgeber auf Zeit von einer Bekannten und habe dann einfach mal angefragt.“ Und das hat geklappt. Aber Hand aufs Herz: Wie arbeiten die Amerikaner im Vergleich zu den Deutschen? „Es ist schon ein bisschen anders“, schmunzelt Benjamin. „Die Amerikaner verwenden wesentlich mehr Schrauben und Nägel, wo in Deutschland beispielsweise Dübel eingesetzt werden. Da merkt man schon einen Unterschied in Sachen Stabilität und Optik.“ Obwohl das Handwerkerherz da wohl anfangs ein wenig blutet – Ben ist anpassungsfähig und hilft bis zum letzten Tag tatkräftig mit. Ihm ist wichtig, zu betonen: „Nur, weil etwas anders ist, ist es nicht automatisch besser oder schlechter. Das sollten wir uns öfter in Bezug auf fremde Kulturen ins Gedächtnis rufen.“
Französischer Bogenbau
Weniger weit gereist, aber deshalb nicht weniger bereichert zurückgekehrt, ist der Auszubildende der Dörfler GmbH aus Bubenreuth. Für Andreas Dörfler, Geschäftsführer der Spezialwerkstätte für Streichbogen, ist spätestens nach der Rückkehr seines Auszubildenden Aaron Reed klar: Das vierwöchige Auslandspraktikum in Tours, Frankreich, ist ein Gewinn: „Im Grunde ist es wie eine weitere Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung – Herr Reed konnte in Frankreich Praktiken des Bogenbaus kennenlernen, die in unserem Betrieb vielleicht anders laufen. Und eine andere Kultur erleben.“ Unterstützung erhalten Betrieb und Auszubildener von Bayern Handwerk International: „Das Auslandspraktikum wurde gefördert, sodass beispielsweise das Thema Unterkunft leichter stemmbar war“, berichtet Andreas Dörfler. Mit Erasmus+ erhält Dörflers Azubi ein EU-finanziertes Stipendium, das je nach Lebenserhaltungskosten vor Ort bis zu 80 Prozent aller Fixkosten abdeckt. Ein Programm, das oft nur im Hochschulkontext bekannt ist – aber auch für junge Handwerkerinnen und Handwerker besteht. Dabei stehen den Teilnehmenden zahlreiche europäische Länder offen.
Bedeutung für den Betrieb
Andreas Dörfler beschreibt die Erfahrungen, die Aaron Reed in Frankreich sammelt als Bereicherung für die fachliche, aber auch für die persönliche Weiterentwicklung. Doch welche Organisation bedeutet ein solcher Auslandsaufenthalt für den Betrieb? „Man muss natürlich gut planen“, weiß Dörfler“. „Schließlich steht der Auszubildende in der Zeit seines Auslandsaufenthalts nicht in unserem Betrieb zur Verfügung. Je nach Auftragslage muss man sich hier einfach organisieren und die Kapazitäten im Vorfeld sinnvoll verplanen.“ Für Andreas Dörfler steht fest: Er würde Betrieben empfehlen, ihren Auszubildenden einen Aufenthalt im Ausland zu ermöglichen: „Ein Blick über den Tellerrand ist nie verkehrt und kann auch ein Plus für den ganzen Betrieb sein.“ Ob er in seinem Betrieb auch einmal einen Auszubildenden aus dem Ausland aufnehmen und einen Einblick ins mittelfränkische Handwerk geben wird, ist noch Zukunftsmusik. Vorstellen kann er es sich auf jeden Fall.
Quelle/Verfasser: Handwerkskammer Mittelfranken
(BHI NL 07/2024)